Verfallen
so sinnlos«, flüstere ich. »So gemein. Welcher kranke Irre kommt denn auf so eine Idee?«
Er zuckt mit den Schultern. »Tja … An Ihrer Stelle würde ich sie jedenfalls sofort vergraben. Zwar ist es kalt für diese Jahreszeit, aber sie fängt trotzdem bald an zu stinken, und dann haben Sie ruckzuck das Ungeziefer hier.«
»Ich traue mich nicht, sie anzufassen.«
Der Glaser zieht den Jackenärmel hoch, schaut auf die Uhr und sieht nachdenklich die Katze an. »Haben Sie irgendwo eine Schaufel, Madame?«
»Ich glaube schon.« Sofort eile ich zur Scheune. Aus den alten, rostigen Geräten, die nachlässig an der Wand abgestellt wurden, wähle ich einen Spaten, der noch einigermaßen in Schuss ist. Damit laufe ich zurück zum Glaser.
Er nimmt mir den Spaten ab und fragt: »Da drüben irgendwo?«
»Ja, gut. Wird schon in Ordnung sein.«
Er streckt den Arm aus, um das tote Tier von der Mülltonne zu nehmen.
»Halt!«, rufe ich. »Warten Sie!«
Erst mache ich mit meinem Handy noch mehrere Aufnahmen von der Katze, aus verschiedenen Blickwinkeln. Es ist furchtbar, aber ich muss das dokumentieren. Falls nötig, kann ich Dianne zeigen, was geschehen ist.
Außerdem muss die Polizei die Fotos sehen, denn ich werde diesem Chevalier den Vorfall melden. Das geht wohl über eine eingeschlagene Scheibe hinaus, das hier kann er nicht mehr als Dummejungenstreich abtun. Diese Botschaft lässt an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig: Es ist eindeutig eine Drohung.
»Kann ich jetzt?«
Ich stecke das Handy ein. »Ja. Vielen Dank.«
Der Glaser fasst Gruselchen an den Pfoten und legt ihn neben dem Holzstapel ins Gras. Dann packt er mit beiden Händen den Spaten und beginnt mit kräftigen Bewegungen zu graben.
Ich bleibe stehen und sehe dem Mann zu, wie er mit krummem Rücken arbeitet, direkt vor dem Waldrand. Dabei fällt mir auf, wie gut er durch die beigefarbene Hose und den braunen Pullover getarnt ist. Nur ein paar Meter weiter entfernt, und ich würde ihn zwischen dem Unterholz und den abgestorbenen Farnen und braunen Stämmen kaum mehr erkennen.
Mein Blick huscht von links nach rechts. Ich suche den Waldrand ab, der das Haus auf dieser Seite in einem weiten Bogen umschließt.
Wenn sie mir Angst einjagen wollten, dann ist ihnen das definitiv gelungen.
26
Ich stand von der Gartenbank auf und blickte an der Rückwand unseres Hauses zu dem einen Spalt offen stehenden Fenster im Badezimmer empor. Mit klopfendem Herzen starrte ich die Backsteinmauer an, die Diannes und unseren Garten voneinander trennte. Wenn ich darauf klettern würde und von da aus auf das Aluminiumgehäuse der Jalousie …
Nein. Schon allein die Vorstellung ließ mich schwindeln. Es war zu hoch, zu weit weg. Außerdem konnte ich überhaupt nicht gut klettern.
Ich traute mich nicht.
Von der Straße her bog ein Fahrrad in den Zwischengang ein. Ich hörte die Kette gegen den Kettenschutz klappern und die Federn eines Sattels knarzen. Das war nicht das Fahrrad meiner Mutter, das nur ein leises tickendes Geräusch von sich gab.
Ich rannte mitsamt meiner Plastiktüte zum Tor und riss es auf. »Dianne!«
Sie stand aufrecht auf den Pedalen und drückte mit beiden Händen die Trommelbremsen. Es klang, als würde in unserem Feuerschutzgang ein ganzer Eisenbahnwaggon bremsen.
Diannes Wangen waren vom Radeln durch die Kälte zart gerötet, und ein Strickschal flatterte um ihre Schultern. Ich hatte mich noch nicht an das Make-up gewöhnt, das sie auflegte, seitdem sie auf die höhere Schule ging. Dazu trug sie jetzt auch große Silberkreolen in den Ohren – die hätten alle in ihrer Klasse, behauptete sie. Ein Bekannter meines Vaters hatte sie kürzlich auf fünfzehn geschätzt, obwohl sie letzten Sommer erst zwölf geworden war.
»Eef! Hast du jetzt schon Schule aus?«
Ich schüttelte den Kopf und kämpfte mit den Tränen. »Ich bin krank.« Bedrückt hielt ich die Plastiktüte hoch. »Ich hab im Laden Chips gekauft, aber jemand hat die Haustür zugezogen. Wenn meine Mutter nach Hause kommt …«
»Kannst du nicht mehr rein?« Dianne lehnte ihr Fahrrad an die Mauer. Der Gepäckträger ächzte unter dem Gewicht ihrer Schultasche. »Steht irgendwo ein Fenster offen?«
»Ja, aber nur oben.«
Sie ging mit mir in den Garten. In der Mitte blieb sie stehen, genau da, wo ich eben gestanden hatte, und blickte hinauf.
»Meinst du das Badezimmerfenster?«
Ich nickte. »Es ist zu hoch.«
Sie ging einen Schritt nach vorn und blieb dann wieder stehen. Ich sah,
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