Verloren in deiner Sehnsucht: Roman (German Edition)
berührte sanft das fremd wirkende Spiegelbild in der Scheibe. »Es ist meine Pflicht, nicht wahr?«
An jenem Abend begrüßte Gareth seine Gäste mit einem gewissen Maß an Furcht und mindestens einem kleinen Funken von Erleichterung. Nach seinem Zusammentreffen mit der Duchess of Warneham war er sich nicht sicher, ob er es wünschte, erneut mit ihr allein zu sein. Er wusste nicht, warum er so empfand. Optisch war die Frau eine Augenweide – wurde aber vielleicht wie ein zu üppiges Dessert am besten zusammen mit etwas Nichtssagendem wie einem lauwarmen Kaffee genossen.
Sein Wunsch wurde ihm durch Sir Percy Ingham erfüllt. War die Duchess eine reichhaltige Schokoladentorte mit Crème anglaise, dann war Sir Percy der wässrige Tee. Mit Erleichterung erfuhr Gareth, dass er ebenfalls relativ neu in Lower Addington war. Gareth war der Flüstereien, die hinter seinem Rücken stattfanden, ein wenig müde geworden. Nicht, dass Sir Percy darüberzustehen schien – seine Frau im Übrigen ganz gewiss nicht –, aber zumindest kannte Gareth ihn nicht aus seinen Kindertagen. Den gleichen angenehmen Zug stellte er beim Doktor fest, einem Mann namens Martin Osborne, der sprachgewandt und von offensichtlich guter Erziehung war. Osborne schien an die vierzig zu sein und besaß die natürliche Höflichkeit eines Gentlemans.
Ebenso erleichtert stellte Gareth fest, dass Selsdon Court mit einem Koch von außergewöhnlichem Können gesegnet war. Mit Befriedigung betrachtete er den Tisch, als der dritte Gang abgetragen und eine Auswahl an Obsttörtchen und Eis serviert wurde.
»Lasst es mich noch ein weiteres Mal sagen, Euer Gnaden, welch große Freude es für uns ist, mit Euch an Eurem allerersten Tag auf Selsdon zu Abend zu essen«, sagte Dr. Osborne feierlich. »Ihr seid sehr freundlich, unsere kleine Tradition fortbestehen zu lassen.«
»Höchst freundlich, in der Tat«, pflichtete ihm Sir Percy bei, während er das Tablett mit den Obsttortelettes genauer inspizierte. »Wie fandet Ihr alles in allem Euren ersten Tag in Eurem neuen Heim, Euer Gnaden?«
Gareth nickte dem Diener zu, der anbot, Wein nachzuschenken. »Wie hat doch Reverend Richard Hooker es einst formuliert, Sir Percy?« Gareth hielt inne, als der Diener sich vorbeugte, um einzuschenken. »Eine Veränderung vollzieht sich nie ohne Unbequemlichkeit, selbst wenn es eine zum Besseren ist.«
»Ganz recht, ganz recht!« Sir Percy wirkte überrascht. »Habt Ihr zufällig auch Hookers Meisterwerk Of the Laws of Ecclesiastical Polity gelesen? Es ist eines der bevorzugten Werke unseres Pfarrers.«
»Das habe ich«, entgegnete Gareth ein wenig angespannt. Verbarg sich eine mögliche Beleidigung – oder schlimmer noch, eine bohrende Frage – hinter den Worten des Baronets? Reverend Needles hatte ihm Hooker eingehämmert bis zum Erbrechen – auch wenn es diese Leute verdammt noch mal nichts anging. Aber seine Antwort war ohne Erwiderung akzeptiert worden, sodass sich Gareth wieder entspannte.
»Was, wenn ich so neugierig sein darf, findet Ihr denn unbequem an dieser Veränderung, Euer Gnaden?«, zwitscherte Lady Ingham. »Ich schwöre, ich kann nichts an Selsdon Court finden, was mir missfallen könnte.«
»Du hast seine Bemerkung falsch verstanden, meine Liebe«, sagte ihr Mann.
»Es ist keine Frage des Missfallens, Ma’am«, log Gareth ruhig. »Es macht mir Umstände, weil ich meine Firma unbeaufsichtigt in London zurücklassen muss.«
Lady Ingham lächelte unwissend. »Aber Ihr verfügt doch gewiss über Angestellte?«
Gareth fühlte sich mit einem Mal erschöpft. Diese Leute waren durchaus nett, aber sie kannten das wirkliche Leben nicht. »Wir haben ein Dutzend Angestellte, Ma’am, aber es wäre zu viel für sie, die Aufgabe der Geschäftsführung auf sich zu nehmen«, erklärte er. »Und meine Geschäftspartnerin ist frisch verheiratet, deshalb ist sie –«
»Sie?« Lady Ingham stürzte sich auf die klatschwürdige Neuigkeit. »Nun, welche Art von Geschäftspartnerin ist sie denn?«
Gareth war versucht zu sagen, dass er sich an Mrs. Berkleys neuestem Bordell zur Hälfte beteiligt hatte, da dies die Art schlüpfrige Antwort war, auf die Lady Ingham offensichtlich hoffte. Doch er riss sich zusammen und blieb bei der Wahrheit. »Die Marchioness of Nash ist meine Geschäftspartnerin«, antwortete er. »Wir sind Teilhaber einer Reederei namens Neville Shipping.«
Die Duchess schwieg, aber ihre Augen weiteten sich vor Überraschung.
»Neville Shipping«,
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