Voodoo Holmes Romane (German Edition)
gewissermaßen die offizielle Version. Mein Vater, der Bankier, war im Jahr 1863, zwei Jahre vor Abschaffung der Sklaverei, in geheimer Mission in den Vereinigten Staaten von Amerika unterwegs, um sich über die dortigen Umstände der Baumwollproduktion ein eigenes Urteil verschaffen. Eines Tages befand er in Louisiana auf einer Baumwollplantage zu Gast, die sich in ein einem Aufruhr befunden habe, da gerade ein Sklavenaufstand statt hatte. So habe er meine Mutter getroffen: Als er am nächsten Morgen die Plantage verließ, fand er einen großen Koffer auf seiner Kutsche festgeschnallt, den er nicht kannte. Kaum hatte die Kutsche die Ländereien seines Gastgebers verlassen, der gerade mit seinen Mannen und Hunden die Wälder nach entflohenen Sklaven durchstreifte, ließ mein Vater anhalten und im Koffer nachsehen. Zu seiner Überraschung fand er in ihm ein junges Mädchen, das eine Schlange um den Hals trug. Bald stellte er fest, daß dieses Mädchen keineswegs so jung sein konnte, wie es den körperlichen Anschein hatte. Sie war voller Weisheit und hatte einen unerschöpflichen Schatz fremden Wissens, das ihn faszinierte. Einmal heilte sie ihn von der Ruhr, ein anderes Mal von der Cholera unter Einflössen von Pflanzenextrakten, während er seine Reise durch die Vereinigten Staaten fortsetzte. Das war Siri, die Afrikanerin. Meine Mutter habe damals nur gebrochen Englisch gesprochen, die Sprache aber bald ganz erlernt. Auch wenn es um meine Mutter ging, konnte mein Vater nicht davon überzeugt werden, in Bezug auf ihre Herkunft kleinere Brötchen zu backen. Siri sei das Kind eines wichtigen afrikanischen Stammeshäuptlings, der durch Verrat zweiundzwanzig Jahre zuvor von Sklavenhändler vom Togo nach Amerika verschleppt worden und in der Gefangenschaft gestorben war. Die einzige Hinterlassenschaft, die er ihr vermacht hatte, war die Schlange, ein uraltes Tier, das in seiner Heimat große Bedeutung besessen hatte und Ausdruck der Macht der Familie gewesen war. Am Ende der Amerikafahrt habe meine Mutter meinen Vater gebeten, sie mit nach Europa zu nehmen, um von dort den Rücktransport in ihre Heimat zu bewerkstelligen, ihre Familie lebe ja noch, sei sehr reich und würde ihn für seine Mühe hoch entlohnen. Mein Vater habe sich in der Zwischenzeit in meine Mutter verliebt und beschlossen, nicht mehr nach London zurückzukehren, da er die Ablehnung seiner Familie befürchtete. Also habe er seinen Reichtum und seinen Einfluss über den Haufen geworfen und beschlossen, in Wien mit seiner Frau ein neues Leben zu beginnen. Hier erkennen Sie, lieber Professor, bereits die Umrisse des Denkens meines Vaters und die Durchsichtigkeit seiner Geschichten. Wenn er tatsächlich mit seinem Vater gebrochen hatte, wie konnte er dann gleichzeitig ein Spion des Holmes’schen Bankhauses in Wien sein?“
„ Und welche der beiden Geschichten stimmt nun?“ fragte ich dazwischen. „Was sagt Ihre Mutter dazu, Holmes?“
Er warf mir einen Blick zu und fuhr fort: „Meine Mutter hat ihre Version verständlicherweise, wie Sie gleich hören werden, nie mitgeteilt. Ich kann aber mit einer weiteren Version aufwarten, die mir ein Bekannter meines Vaters erzählt hat, ein Leopoldsstädter Gastwirt. Er erzählte mir, mein Vater sei eines Tages mittellos in der Stadt aufgetaucht und habe sich als Handlanger verdingt, schon im Laufe eines Jahres aber sei es ihm durch seinen Fleiß gelungen, eine Pfandleihanstalt einzurichten. Eines Tages sei er mit einer Negerin aufgetaucht, die aus einem Zirkus entsprungen war, der gerade in der Stadt weilte. Aber lassen wir all diese Präliminarien. Wichtig ist, was jetzt kommt, denn das ist der Kern der Sache. Hören Sie also
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