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Vorhang auf für eine Leiche

Vorhang auf für eine Leiche

Titel: Vorhang auf für eine Leiche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alan Bradley
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mir später eine harmlose Ausrede einfallen lassen.
    Jemand hinter mir fragte: »Bun? Was um alles auf der Welt …?«
    Ich fuhr herum.
    Dort kam Phyllis Wyvern, angetan mit einem orchideenfarbenen Hausanzug und so quietschfidel wie sämtliche Geigen der Londoner Philharmoniker, durch den Flur auf uns zugeschwebt.
    »Die Dame hier hat einen Migräneanfall, Miss Wyvern«, sagte der Vikar. »Ich habe ihr gerade eine Kompresse …«
    »Bun? Oh, meine arme Bun!«
    Bun stöhnte leise.
    Phyllis Wyvern nahm das Tuch von Buns Stirn, faltete es auf und wieder zusammen und platzierte es dann eigenhändig wieder auf Buns Schläfen.
    »Meine arme, liebste Bun. Sag Philly, wo es wehtut.«
    Bun verdrehte die Augen.
    »Marion!«, rief Phyllis Wyvern und schnippte mit den Fingern, woraufhin eine hochgewachsene Frau mit Hornbrille wie aus dem Nichts auftauchte. Sie musste früher eine echte Schönheit gewesen sein und war immer noch eine eindrucksvolle Erscheinung.
    »Bring Bun in ihr Zimmer. Und sag Dogger, er soll sofort einen Arzt rufen.«
    Als Bun Keats weggeführt wurde, hielt Phyllis Wyvern dem Vikar die Hand hin.
    »Ich bin Phyllis Wyvern, Herr Vikar«, sagte sie, nahm seine Hand in ihre beiden Hände und drückte sie sanft. »Vielen Dank, dass Sie sich so prompt um Bun gekümmert haben. Wir haben heute alle einen anstrengenden Tag hinter uns: erst der arme Patrick McNulty und jetzt auch noch meine teure Bun. Das hat uns allen sehr zugesetzt, denn wir sind wie eine große, glückliche Familie.«
    Mich überkam ein Déjà-vu: Irgendwo hatte ich diese Szene schon einmal gesehen.
    In einem von Phyllis Wyverns Filmen vielleicht?
    »Ich stehe tief in Ihrer Schuld, Herr Vikar«, sagte sie. »Wären Sie nicht gewesen, wäre Bun womöglich die Treppe hinuntergestürzt.«
    Das war natürlich Unsinn. Sie übertrieb schamlos.
    »Wenn ich mich irgendwie revanchieren kann – ein Wort genügt.«
    Worauf der Vikar lossprudelte und sein Anliegen vorbrachte. Cynthias Angebot, Phyllis Nachhilfestunden zu geben, ließ er zum Glück weg.
    »Sie sehen also, Miss Wyvern«, schloss er, »das Kirchendach ist schon seit den Tagen von George IV. marode, und inzwischen wird es allerhöchste Zeit. Der Kirchendiener hat mir gesagt, er habe neulich Wasser im Taufbecken vorgefunden, das nicht zu kirchlichen Zwecken eingefüllt worden sei, und …«
    Phyllis Wyvern fasste ihn am Arm.
    »Kein Wort mehr, Herr Vikar. Ich freue mich, wenn ich die Ärmel hochkrempeln und Sie tatkräftig unterstützen kann. Und wissen Sie was? Ich habe da eine wundervolle Idee: Mein Filmpartner Desmond Duncan trifft heute Abend hier ein. Vielleicht erinnern Sie sich noch, dass Desmond und ich sowohl im Theater in London als auch auf der Leinwand mit Romeo und Julia einen bescheidenen Erfolg feiern konnten. Wenn Desmond mitmacht, und dessen bin mir eigentlich sicher …«, sie zwinkerte dem Vikar neckisch zu, »… dann können wir bestimmt ein kleines Potpourri zusammenstellen und das Dach von St. Tankred vor dem Einsturz bewahren.«

5
    I nzwischen hatte ich schon so viel Zeit auf der Treppe verbracht, dass ich mir fast wie Christopher Robin in Pu der Bär vorkam.
    Auch jetzt saß ich wieder dort und blickte in die überfüllte Eingangshalle hinunter, in der die Filmleute schwatzend in Grüppchen zusammenstanden. Die Einzige, die ich kannte, war die Frau namens Marion, die Bun Keats am Nachmittag auf ihr Zimmer gebracht hatte. Da Bun nirgends zu sehen war, vermutete ich, dass sie sich immer noch in ihrem Zimmer aufhielt.
    »Meine Damen und Herren!«, rief jemand und klatschte in die Hände. »Meine Damen und Herren!«
    Das Geplapper und Geschnatter verstummte so jäh, als hätte es jemand mit der Schere abgeschnitten.
    Ein blasser junger Mann mit rotblondem Haar erklomm ein paar Treppenstufen und drehte sich dann zu den anderen um.
    »Mr Lampman wird jetzt das Wort an Sie richten.«
    Diskret wurden ein paar Scheinwerfer angestellt, um die antiquierte Beleuchtung von Buckshaw auszugleichen.
    Ein ungewöhnlich kleiner Mann mittleren Alters löste sich aus einem dunklen Winkel und schlenderte, wie ein Junge auf einer Landstraße, lässig quer durch die Halle, als hätte er alle Zeit der Welt. Er trug einen ramponierten olivgrünen Filzhut, einen schwarzen Rollkragenpullover und eine schwarze Hose.
    In einem anderen Kostüm wäre Val Lampman ohne Weiteres als Heinzelmännchen durchgegangen.
    Er schaute in die Runde. Mir fiel auf, dass er sich dazu nicht einmal auf die erste

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