Wenn tausend Sterne fallen: Roman (German Edition)
Morgen vorstellen. Lediglich das »St. Vincent’s Rocks Hotel« in Clifton schien unter akutem Personalmangel zu leiden, sodass Ellen anbot, noch am selben Abend vorbeizukommen.
Sie wurde auf der Stelle eingestellt. Ihr Lohn betrug sechs Pfund die Woche bei freier Unterkunft und Verpflegung. Als sie von der Dachkammer, die von jetzt an ihr Zuhause sein würde, durch den Regen auf die hell erleuchtete Hängebrücke über der Avon Gorge blickte, war sie glücklich wie lange nicht mehr. Zum ersten Mal in ihrem Leben fühlte sie sich richtig frei.
Als der Bus in den Busbahnhof an der Victoria Station einbog, verspürte Ellen vor Aufregung ein Kribbeln im Bauch. Hoffentlich war Josie auch da! Sie war noch nie in London gewesen, und die Stadt war viel größer und das Gewühl viel schlimmer, als sie es sich vorgestellt hatte. Doch als sie aus dem Bus stieg, sah sie Josie, die sich gerade einen Weg durch das Gedränge bahnte. Sie drückte sie fest an sich.
»Ich hab schon Angst gehabt, du würdest den Bus verpassen oder könntest vielleicht doch nicht kommen«, platzte sie heraus. »Ich hab mich die ganze Woche auf deinen Besuch gefreut.«
Ellen starrte ihre Schwester einen Augenblick sprachlos an. Sie sah in ihrem smaragdgrünen Minikleid und den passenden Schuhen so erwachsen und wunderschön aus. Für die Fotos wurde sie natürlich frisiert, geschminkt und fein gemacht. Aber Ellen hätte nicht gedacht, dass sie auch in Wirklichkeit aussah, als wäre sie eben einem Modejournal entsprungen.
»Du siehst umwerfend aus«, stellte sie ehrfürchtig fest und errötete im nächsten Moment, weil ihr bewusst wurde, wie altbacken sie selbst wirken musste. »Ich hätte mir ein paar neue Sachen kaufen sollen«, fügte sie hinzu.
Josie kicherte und musterte sie von Kopf bis Fuß wie zur Bestätigung, dass Ellens Baumwollrock viel zu lang war und ihre Bluse nur noch als Putzlappen taugte. »Du kannst was von mir anziehen. Du glaubst gar nicht, wie viele Kleider ich jetzt besitze. Ich bekomme nämlich oft die Sachen geschenkt, die ich vorführe.«
Im Bus nach Chelsea plapperte Josie ohne Punkt und Komma. Sie erklärte Sehenswürdigkeiten, erzählte von den Pubs und Restaurants, in denen sie verkehrte, und erwähnte Marks Namen in fast jedem Satz.
Erst als sie ausstiegen, erkundigte sie sich nach Ellens Job.
»Ein Kinderspiel«, antwortete Ellen lächelnd. »Da war ich bei den Sandersons Schlimmeres gewöhnt. Ich arbeite nur von sieben Uhr morgens bis zwölf, ich muss die Zimmer in Ordnung bringen und so. Nachmittags hab ich frei. Gegen sieben decke ich die Betten auf, und das wars dann auch schon.«
»Und was unternimmst du in deiner Freizeit?«, fragte Josie.
Ellen zuckte mit den Schultern. »Mir Wohnungen ansehen, lesen, in den Downs sonnenbaden. Oder ich mache einen Schaufensterbummel. Abends geh ich oft mit einem Mädchen aus, das mit mir zusammen arbeitet, Anne heißt es.«
»Und wohin geht ihr? In Pubs oder Nachtclubs?«
Ellen kicherte. »Nein, nein, wir unternehmen einen Spaziergang oder gehen ins Kino. Für Nachtclubs oder so etwas sind wir noch zu jung.«
»Das bin ich auch«, meinte Josie lässig. »Trotzdem gehen Mark und ich ständig dorthin.«
Ellen war von Josies heller, geräumiger, wenn auch spartanisch möblierter Wohnung ehrlich beeindruckt. »Wo hängst du denn die Wäsche auf?«, wollte sie wissen.
Josie bekam einen Lachanfall. »Sei nicht albern, Ell. In Chelsea hängt kein Mensch seine Wäsche auf. Man bringt sie in den Waschsalon.«
Ellen hätte gern gefragt, was das war und was es kostete, aber Josie hatte keine Lust, über so profane Dinge zu reden.
»Such dir was aus«, drängte sie und deutete auf den Kleiderschrank. »Und schmink dich ein bisschen, ich will dir die King’s Road zeigen.«
Da Ellen sich nicht entscheiden konnte, suchte Josie ein Kleid für sie aus. Es war hell zitronengelb, schulterfrei und bedeckte gerade mal den Po. Ellen schluckte, doch da sie wusste, ihre Schwester würde nur mit jemandem in modischer, schicker Kleidung gesehen werden wollen, protestierte sie nicht. Sie nahm es auch widerspruchslos hin, dass Josie darauf bestand, sie zu schminken. Normalerweise benutzte Ellen nur Lippenstift und Wimperntusche, und sie fand, der dunkle Eyeliner sei viel zu auffällig. Aber schließlich waren sie in London.
Für Ellen wurde es der schönste Tag ihres Lebens. In der King’s Road reihte sich Boutique an Boutique. Überall gab es flippige Kleider zu kaufen. Für Ellen waren
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