Wiedersehen in Hannesford Court - Roman
funkelnden Augen angenommen. Als ich hinzukam, ging Mapperley gerade zum Angriff über.
»Heutzutage denken sich die jungen Frauen nichts dabei, Arm in Arm mit Männern umherzulaufen, die sie kaum kennen. Das erlebt man tagtäglich. Zu meiner Zeit wäre eine junge Dame nicht im Traum darauf gekommen.«
»Ach, kommen Sie, Sir …« Freddies Stimme klang vorwurfsvoll. »Wie können Sie da so sicher sein? Zugegeben, sie mögen sich früher anders benommen haben, aber wer kann schon mit Sicherheit sagen, wovon junge Damen träumen?«
Der Bankier errötete leicht. »Unsinn, Sir. Es sind degenerierte Zeiten. Früher reichte ein junges Mädchen dem Ritter, der ihre Gunst gewonnen hatte, eine keusche Gabe wie einen Handschuh. Heutzutage werfen sich die Mädchen den jungen Männern einfach an den Hals, ohne Anstand und Würde. Das ist abscheulich.«
»Einen Handschuh, Sir? Einen Handschuh?« Freddie gab sich zutiefst empört. »An einem Handschuh ist für mich ganz und gar nichts Keusches! Im Gegenteil, bedenken Sie doch …« Freddie unterstrich seine Ausführungen mit Gesten. »Ein Handschuh hat über die Handfläche der Dame gestrichen.Ihre Fingerspitzen liebkost. Er hat sich in das süße Tal zwischen ihren Fingern geschmiegt …« Er hielt inne und schüttelte sich, als wäre er aus einem Traum erwacht. »Nein, Sir«, schloss er dann, »es ist überhaupt nicht keusch, einen Handschuh zu verschenken.«
Mapperleys Antwort bestand aus einem verächtlichen Schnauben. Kurz darauf stampfte er von dannen. Als er gegangen war, gesellte sich Margot zu uns.
»Hast du dich mal wieder danebenbenommen, Freddie?«, fragte sie lachend.
»Margot, Süße, ich fürchte, ja. Du musst mir verzeihen, aber ich konnte nicht anders. Vielleicht brauchen wir mehr Brandy.«
Im Grunde war es einfach nur ein frecher Schabernack gewesen, und ich hatte meinen Spaß gehabt, als er den aufgeblasenen Bankier zurechtstutzte. Doch ich hätte nie wieder daran gedacht, hätte nicht beim Zubettgehen ein einzelner Handschuh aus kostbarer weißer Spitze blass und lieblich auf meinem Kopfkissen gelegen.
I ch sah sie in jenem Sommer nacheinander ankommen, so wie es immer gewesen war, Harrys und Margots Freunde, die ganze exklusive Clique. Vermutlich dachte ich, es sei ein Ritual, das ewig so weitergehen würde; dass Freddie Masters, Tippy Hibbert und die Übrigen auch in mittleren Jahren noch immer die sommerliche Pilgerreise nach Hannesford antreten und vielleicht Frauen oder sogar Kinder mitbringen, aber zweifellos kommen würden. An Zerwürfnisse, Trennungen oder Täuschungen dachte ich nie. Nicht bis zu jenem Sommer.
Die Wochen vor dem großen Ball schienen mir im Nachhinein eine Zeit endlosen Sonnenscheins, doch der Mai und der frühe Juni waren feucht und manchmal kalt. Harry, dem das Wetter auf die Nerven ging und der noch auf seine Freunde wartete, verbrachte mehr Zeit als sonst im Haus und daher auch in meiner Gesellschaft. Das fand ich nicht wirklich angenehm, obwohl er mir mit energischer Freundlichkeit begegnete. Seine Gegenwart war irritierend; er lief umher wie ein Tier, dessen Käfig zu klein geworden ist.
In der Welt, in der ich aufgewachsen war, sprach man nicht über körperliche Leidenschaften. Das Thema blieb so verschleiert und undurchsichtig wie die Geheimnisse des Universums. In Hannesford war das jedoch anders, wie ich leicht schockiert feststellen musste. Für eine unverheiratete Frau war ihr guter Ruf nach wie vor das höchste Gut. Bei verheirateten Frauen hingegen waren diskrete Affären weder unbekannt, noch wurden sie sonderlich verurteilt. Man sprach einfach nicht darüber. Sie zu erwähnen, wäre anstößig gewesen; davon schockiert zu sein, hingegen wenig weltgewandt. In den Kreisen, in denen die Stansburys verkehrten, war Indiskretion eine weitaus schlimmere Sünde als Ehebruch.
Trotz allem war ich nicht auf das Gespräch mit Harry gefasst.
Er hatte nach mir gesucht, weil es aufgehört hatte zu regnen und er mit jemandem spazieren gehen wollte. Ich hatte natürlich zu tun, weil ich die Ankunft der Gäste vorbereiten musste und gerade die Zimmer einteilte. Diese Aufgabe schien sein Interesse zu wecken.
»Die Zimmerliste, was? Ein diplomatischer Drahtseilakt, nehme ich an. Wer schläft wo?« Er redete fröhlich und unbekümmert drauflos, während er mir über die Schulter blickte. Ich erklärte, dass die Zimmereinteilung mehr oder weniger die gleiche wie im vorigen Jahr sei, doch seine Augen wanderten schon die Reihe
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