Yelena und die Magierin des Südens - Snyder, M: Yelena und die Magierin des Südens
mir einen. Es war Brazells Criollo, diesmal allerdings kugelförmig.
Ehe die Generäle über den Bruch mit der Tradition lamentieren konnten, erhob Brazell sich und bat alle, einen Bissen zu nehmen. Nach kurzem Schweigen hallten begeisterte Rufe durch den Raum. Das Criollo war mit Erdbeer-Brandy ge füllt. Ich gab dem Commander zu verstehen, dass alles in Ordnung sei, und widmete mich dem Rest meines Stücks. Die Kombination des süßen, nussigen Geschmacks von Criollo mit dem weichen Brandy war himmlisch. Rand würde sich bestimmt darüber ärgern, nicht selbst auf die Idee gekommen zu sein, beides zu vermischen. Doch mein Mitleid verschwand schlagartig beim Gedanken an seine heuchlerische Miene.
Nachdem die Lobeshymnen verklungen waren, verkündete Brazell, dass seine Fabrik fertiggestellt sei. Anschließend sprach er über banale Dinge wie die Menge an Wolle, die geschoren worden war und das zu erwartende Ergebnis bei der Baumwollernte.
Im Militär-Distrikt 5 wurde das gesamte Garn für Ixia produziert und gefärbt und in den MD-3 von General Francis gebracht, wo es zu Tuch verarbeitet wurde. Francis nickte beflissen und notierte die Zahlen, die Brazell nannte. Er war der jüngste der Generäle und hatte die Angewohnheit, die purpurroten Di a man ten auf seinem Kragen zu betasten, wenn er konzentriert nachdachte.
Während ich auf meinem Stuhl ein döste, hatte ich im Halbschlaf seltsame Erscheinungen. Bizarre Träume von Brandy, Grenzwachen und Passierscheinen wirbelten wie Schneeflocken durch meine Gedanken. Plötzlich wurde das Bild klar und deutlich, als eine junge Frau in weißem Jagdpelz vor meinem inneren Auge auftauchte.
Triumphierend schwenkte sie einen blutigen Speer durch die Luft. Eine tote Schneekatze lag zu ihren Füßen. Sie rammte die Spitze ihrer Waffe ins Packeis, zog ein Messer und schnitt in das Fell des Raubtiers. Mit einem Becher fing sie das he raussprudelnde Blut auf.
Sie richtete sich auf und trank. Purpurrote Rinnsale liefen ihr das Kinn hinunter. Klar und deutlich konnte ich ihre Gedanken hören. „Niemand hat dieses Kunststück fertiggebracht“, dachte sie. „Niemand außer mir“, tönten ihre Worte überden Schnee. Ihre Begeisterung steckte mich an. „Es ist der Beweis, dass ich ein starker, geschickter Jäger bin. Der Beweis, dass mir meine Männlichkeit genommen wurde. Der Beweis, dass ich ein Mann bin. Männer werden nicht länger über mich bestimmen!“, rief sie. „Werde eine Schneekatze, um mit Schneekatzen zu leben. Werde ein Mann, um mit Männern zu leben.“
Die Jägerin wandte mir ihr Gesicht zu. Zuerst glaubte ich, sie sei die Schwester des Commanders. Sie hatte die gleichen feinen Gesichtszüge und das gleiche schwarze Haar. Macht und Selbstvertrauen umgaben sie wie ein Mantel. Während ich mir selbst beim Träumen zuschaute, fuhr der Blick ihrer mandelförmigen goldbraunen Augen durch mich hindurch wie ein Blitz. Die plötzliche Erkennt nis, dass sie der Commander war, ließ mich hochschrecken. Das Herz klopfte mir bis zum Hals, in meinem Schädel pochte ein dumpfer Schmerz,und ich stellte fest, dass ich direkt in Mogkans stechende Augen blickte. Er lächelte zufrieden.
Plötzlich erkannte ich messerscharf den Grund, warum der Commander Magier hasste. Er war eine Sie, aber der festen Überzeugung, dass sie als Mann hätte geboren werden müssen. Ein grausames Schicksal hatte entschieden, ihm diese Geschlechtsumwandlung aufzubürden, die er überwinden musste. Und der Commander befürchtete, dass ein Zauberer das Geheimnis in seinen Gedanken entdecken konnte. Dummes Zeug, dachte ich und schüttelte den Kopf, um diese bizarren Grübeleien zu verdrängen. Nur weil ich von einer Frau geträumt hatte, hieß das noch lange nicht, dass der Commander eine war. Das war absoluter Blödsinn. Oder vielleicht doch nicht?
Ich rieb mir die Augen und schaute mich verstohlen um, ob sonst noch jemand mitbekommen hatte, dass ich eingeschlafen war. Der Commander schaute geistesabwesend in die Ferne, und Valek saß kerzengerade und wachsam neben ihm. Prüfend ließ er seinen Blick durch den Saal wandern, als suche er etwas oder jemanden. General Tesso hatte das Wort.
Valek schaute den Commander an und versetzte seinem Arm einen Stoß. „Was ist los?“, flüsterte er eindringlich. „Wo wart Ihr?“
„Ich habe mich an längst vergangene Zeiten erinnert“, antwortete der Commander mit Sehnsucht in der Stimme. „Viel erfreulicher als General Tessos fürchterlich
Weitere Kostenlose Bücher