Zauber der Versuchung: Roman (German Edition)
wurden jedoch unmittelbar nach der Zeremonie gefunden und die Ehe annulliert. Das Mädchen heiratete dann den Verlobten.« Sie verstummte kurz. »An ihren Namen erinnere ich mich im Moment nicht.«
»Und?«
»Das ist alles, was ich darüber weiß, abgesehen davon, dass sein Benehmen hinterher einige Zeit recht skandalös schien.«
»Er sagt, er wäre anständiger geworden«, meinte Judith.
»Ist er vielleicht. Oder er ist einfach diskreter, was wohl auch eine gewisse Form von Anstand ist«, entgegnete Susanna nachdenklich. »Ich gestehe, dass ich den Mann nicht persönlich kenne. Und ich wage zu behaupten, dass es die wenigsten tun. Aber ich weiß, dass er bei weitem zu reserviert für dich ist. Er kommt mir wie ein Mann vor, der seine Gefühle fest im Griff hat, nicht wie der Typ, den du dir gewöhnlich aussuchst. Und amüsant ist er erst recht nicht. Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass es auch nur ein bisschen angenehm ist, mit Lord Warton... nun, zusammen zu sein.«
Judith biss sich auf die Lippe, um nicht grinsen zu müssen. »Bisweilen trügt der Schein sehr.«
»Gütiger Gott!«, rief Susanna aus und starrte sie an. »Bitte, erzähl mir nicht, dass es wundervoll war.«
»Na gut. War es aber durchaus.« Judith grinste deutlich verhaltener, als es ihr Gefühl nahelegen würde. Susannas Reaktion auf Judiths Liaison mit Gideon war jedoch überraschend und ziemlich erschreckend. Ihre Freundin hatte noch niemals Vorbehalte geäußert, was Judiths Männerbekanntschaften betraf.
Susanna war etwa ein Jahr älter als Judith und mit einem Cousin von Judiths Mutter verheiratet gewesen – allerdings so entfernt, dass sie kaum noch als Verwandte bezeichnet werden konnten. Ihre Ehemänner starben im Abstand von sechs Monaten, keine von beiden Frauen hatte Kinder, und ihrer beider Verlust bildete die Grundlage einer Freundschaft, die mit der Zeit immer tiefer wurde. Beide Frauen bewegten sich gern und viel in der englischen Gesellschaft, doch während Judith es vorzog, Freunde auf ihren Landsitz einzuladen, literarische Salons zu veranstalten und hin und wieder zu einem Ball zu gehen, gab Susanna lieber Abende mit musikalischen und poetischen Darbietungen ihrer zahlreichen Nichten und Neffen. Sie wünschte sich nichts sehnlicher als eigene Kinder, entstammte sie doch einer äußerst großen und fruchtbaren Familie. Judith indes beobachtete sie zwar gern aus der Ferne, stellte aber ein ums andere Mal fest, dass sie bei aller gelegentlichen Eifersucht doch dankbar war, keine nennenswerte Familie zu besitzen. Ausgenommen natürlich Susanna selbst, die für sie jene Schwester war, die Judith nie gehabt hatte.
Auch in ihrer Einstellung zu Männern unterschieden sich die beiden Freundinnen. Susanna war fest entschlossen, wieder zu heiraten, aber nur, wenn sie jemanden fand, bei dem sie eine Gänsehaut bekam und Schmetterlinge in ihrem Bauch flatterten – wie es bei ihrem verstorbenen Ehemann Charles gewesen war. In dem Augenblick, da ihr ein solcher Mann begegnete, würde sie ihn ohne zu zögern heiraten und mit ihm ins Bett gehen – aber nicht notwendigerweise in dieser Reihenfolge. Bis dahin allerdings verspürte sie nicht das geringste Verlangen, mit irgendeinem Mann das Bett zu teilen. Nichtsdestotrotz genoss sie es, Judiths Flirts und Abenteuer mitzuerleben, und hatte sie bisher stets ermuntert, ihr Leben auszukosten.
Nun trank Susanna den Rest aus ihrer Teetasse und schenkte sich sowohl Tee als auch Whisky in gleichen Mengen nach. Offensichtlich handelte es sich für sie um eine Krise unerwarteten Ausmaßes. Sie nahm einen Schluck, stellte die Tasse auf dem Beistelltisch ab und setzte sich zu Judith aufs Kanapee.
»Liebste Judith«, begann Susanna und nahm Judiths Hände. »Cousine.« Judith machte sich auf einiges gefasst, denn Susanna nannte sie nur Cousine , wenn die Situation überaus schwierig war. »Ich fürchte ernstlich, dass du nicht erkennst, was direkt vor deinen Augen ist.«
»Nein?«
»Nein, meine Liebe, du musst dich den Tatsachen stellen. Du hast dich in diese Beziehung...«
»Gestürzt?«, schlug Judith vor.
»Genau.« Susanna nickte. »Du hast dich sogar Hals über Kopf hineingestürzt. Früher dachtest du immer sehr gründlich nach, bevor du mit einem Mann das Bett teiltest, und dass du es diesmal nicht getan hast, ist äußerst besorgniserregend.«
»Unsinn!« Judith wollte ihre Hände zurückziehen, aber Susanna hielt sie fest.
»Darüber hinaus hast du einen Gentleman
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