Blutiger Engel: Thriller (Ein Alice-Quentin-Thriller) (German Edition)
aus, als sich Burns von seinem Platz erhob, um verschiedene Befehle zu erteilen, obwohl es immer noch keine konkreten Spuren gab. Ich war überrascht, wie mühelos er diesmal das Kommando übernahm. Vielleicht lag es an der dunklen Stimme, die zwischen den Wänden hallte, oder an seiner Statur. Doch egal, aus welchem Grund, die Leute hörten ihm zu, als er ihnen erklärte, die OK -Dienststelle wollte alle Unterlagen unserer Bank einsehen. Da die Manager erkannt zu haben schienen, dass ihnen auf Dauer gar nichts anderes übrigbleiben würde, hatten sie sich zur Herausgabe sämtlicher Personalakten bereit erklärt.
Es war kurz vor zehn, als wir zu seinem Wagen gingen, um zur Angel Bank zu fahren. Seine böse Miene machte deutlich, dass das fortgesetzte Schweigen der Verantwortlichen ihm allmählich auf die Nerven ging.
»Ich will, dass Sie versuchen, aus den Typen schlau zu werden, Alice. Ich muss wissen, was sie mir verschweigen, denn bisher hat keiner von den Kerlen auch nur ansatzweise mit der Sprache rausgerückt.«
»Ich werde mein Möglichstes tun«, erklärte ich.
Auf dem Weg zur Angel Bank erzählte Burns mir weitere Details über Leo Greshams paralleles Leben, das sich durch den Besuch teurer Hotels, Champagnerorgien und heimliche Geliebte ausgezeichnet hatte. Der Lebensstil von Jamie Wilcox war vollkommen anders gewesen. Um seine Frau und seinen kleinen Sohn zu unterstützen, hatte er schon während seines Studiums unzählige Nachtschichten als Aushilfslagerist übernommen. Noch immer wusste niemand, wer die blonde Frau im Counting House gewesen war. Keine der Prostituierten, die dort ihre Freier suchten, hatte zugegeben, dass sie Wilcox vor seiner Ermordung dort begegnet war.
Ich erzählte Burns von dem Besuch bei Rayner, doch er reagierte nicht. Vielleicht war ihm Taylor schon so oft mit diesem Mann gekommen, dass er für den Namen taub geworden war. Außerdem war der Verkehr inzwischen so dicht, dass sich Burns verstärkt aufs Fahren konzentrieren musste, deshalb lehnte ich mich kurzerhand auf meinem Sitz zurück und verfolgte, wie die Stadt an mir vorüberzog.
Als wir den Finanzdistrikt erreichten, lag bereits ein Hitzeschleier über dem Asphalt. Trotzdem eilten zahlreiche Geschäftsmänner so zielstrebig zu irgendwelchen Sitzungen, als hinge die gesamte Weltwirtschaft allein von ihnen ab. Langsam passten ihre Uniformen sich an die modernen Zeiten an. Doch auch wenn die Männer statt der alten Nadelstreifen jetzt Paul Smith oder Armani trugen, mussten sie bei dieser Hitze in den dicken Stoffjacken vergehen. Auch die wenigen Frauen, die wir sahen, wirkten fest entschlossen, trotz des hohen Preises, den sie dafür zahlen mussten, möglichst elegant zu wirken, denn sie stöckelten auf mörderischen Absätzen die Gehwege hinab.
Wir bogen in den Angel Court, und ich entdeckte, dass die schmale Sackgasse im hellen Sonnenlicht ganz anders wirkte als bei Nacht. Die Bank war viel größer als die umliegenden Häuser und hob sich mit ihren weißen Mauern deutlich von den schmuddeligen Nachbarn ab.
Auf unserem Weg zum Eingang unterzogen uns die beiden Marmorengel einer stummen Musterung.
»Die Typen hier in dieser Bank nennen sich doch wohl nicht wirklich Engel, oder?«, fragte ich.
»Ich fürchte, doch. Denn schließlich haben sie sich angeblich die Rettung unserer Einlagen zur Aufgabe gemacht.«
Der Schachbrettboden im Foyer der Bank war spiegelblank. Sicher hatte über Nacht eine Armee von Putzfrauen und -männern wie verrückt daran herumgeschrubbt. Die Zweigstelle von meiner Bank, in der sich die gestressten Angestellten hinter schusssicherem Glas versteckten, sah eindeutig völlig anders aus. Trotzdem suchte ich vergeblich nach Beweisen dafür, dass die Angestellten dieser Bank riesige Boni ausbezahlt bekamen. Denn die Händler waren offenbar in einem anderen Stock versteckt und hatten ihre Sportwagen diskret neben dem Hintereingang abgestellt. Ein Empfangstresen war nirgendwo zu sehen, aber hin und wieder führten junge Damen in schwarzen Kostümen irgendwelche Kunden über eine breite Marmortreppe in die oben liegenden Büros. Burns sprach mit einer jungen Frau, die tat, als hätte sie noch kein Gespräch in ihrem Leben derart fasziniert, und ich blätterte in einer farbigen Broschüre, die die Angel Bank als Institut mit einem tadellosen Ruf beschrieb. Sie war eine der ältesten Kreditanstalten Londons, und bereits seit ihrer Gründung floss ein Teil ihrer Gewinne wohltätigen Zwecken zu.
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