Die Tränen des Herren (German Edition)
Jocelin damals in Poitiers zu ihm gesagt hatte...
„Euer Ehrwürden!”
Die Tür des Saales war aufgestoßen worden. Erzbischof Gregor sah Jocelin eintreten, neben ihm ein zweiter Ordensbruder, an dessen Namen er sich nicht mehr erinnerte. Er blutete aus einer provisorisch verbundenen Armverletzung. Dann erschienen zwei bischöfliche Ritter, einen Gefangenen mit sich führend.
„Euer Ehrwürden, man hat einen Anschlag gegen uns geführt“, berichtete Jocelin. “Hätte sich Bruder Isnard nicht vor mich geworfen, wäre ich nicht mehr am Leben.”
Erzbischof Gregor überlief es kalt. Ein Anschlag auf die Prokuratoren! Aber war das nicht die logische Konsequenz der Schandtaten, von denen die Prozesseinreden berichteten? Er winkte einen der Notare zu sich: “Bring den Bruder zu einem Medikus!” Dann wandte er sich an Jocelin.
„Wie ist es geschehen?”
„Er hat schon einmal versucht, mich zu ermorden, vor ein paar Wochen. Diesmal lauerte er uns auf an der Rue des Poissons, oberhalb der Treppe. Er wartete, bis Bruder Isnard und ich einige Schritt hinter unserer Begleitung waren und sprang von einer der Arkaden auf uns herunter.”
Der Erzbischof von Rouen befahl, den Attentäter vorzuführen. Lange ruhte sein Blick auf dem hünenhaften Mann mit den klobigen Händen. Wenigstens war es keiner seiner Dienstleute!
„Wer hat dich beauftragt?”
Der Fremde blieb stumm.
„Rede! Du weißt, dass gegen jeden, der die Arbeit dieser Kommission behindert, die Exkommunikation verhängt ist!”
Der Fremde starrte auf den Boden.
Gregor von Rouen sog hörbar die Luft durch die Nase. Er verabscheute, was er nun anordnen musste, aber es blieb ihm keine andere Wahl.
„Übergebt ihn den Folterknechten! Ich will wissen, wer ihn angestiftet hat!”
„Zu Befehl, Euer Eminenz.”
„Ihr seht, dass die Feinde unseres Ordens kein Recht anerkennen, sondern mit allen Mitteln nach unserer Vernichtung trachten“, ergriff Jocelin wieder das Wort, nachdem der Gefangene abgeführt war. „Wir haben keinen Schutz außer dem des Heiligen Vaters! Darum bitte ich Euch, erlaubt den Brüdern, die es wünschen, vor Euch zu widerrufen!”
„Bruder Jocelin, dazu habe ich keine rechtliche Befugnis. Es tut mir leid. Die Anweisung des Papstes verbietet Unserer Kommission, den Fall der einzelnen Zeugen zu untersuchen. Wir dürfen nur über den Orden als Gesamtheit inquirieren. - Ich gebe Euch und den anderen Prokuratoren eine größere Eskorte. Mehr kann ich nicht tun.”
Er stand auf und verließ beinahe hastig den Sitzungssaal.
Am nächsten Morgen erfuhr Erzbischof Gregor vom Tod des Attentäters. Jemand hatte ihn in der Nacht erdrosselt, ehe er eine Aussage machen konnte. Natürlich wollte niemand etwas Verdächtiges gesehen haben. Der Erzbischof stellte die Kerkerwächter unter Arrest, aber es war ihm klar, dass er diese Sache nicht würde weiter verfolgen können. Andernfalls wäre vielleicht er selbst sehr bald das nächste Opfer eines Attentates. - Guter Gott, was geschah hier? Welche teuflische Macht war hier am Werk?!
Im Bischofspalais lief dem Erzbischof Gräfin Ghislaine entgegen. Angst zeichnete ihr Gesicht. „Ich habe gehört, dass die Prokuratoren überfallen wurden! Einer der Brüder soll verletzt sein!” rief sie aufgeregt.
Erzbischof Gregor ergriff die Hände seiner Nichte. „Du solltest deine Besorgnis nicht so offen äußern, mein Kind“, warnte er. „Sire Jocelin geht es gut. Er ist es doch, um den es dir hauptsächlich geht. Und der andere Bruder ist in der Obhut meines Medikus.”
Ghislaine schlug ein Kreuz. “Gott sein Dank! Ich habe schon geglaubt -” Der Gedanke war zu furchtbar, ihn auszusprechen.
Erzbischof Gregor legte die Hand auf ihren Kopf. Er zögerte, ob er tatsächlich aussprechen sollte, was ihm gerade durch den Kopf ging. Andererseits hatte er eine priesterliche Verpflichtung, für das Seelenheil der ihm Anvertrauten zu sorgen. Seine Nichte war ihm mehr als alle anderen anvertraut. Und er beobachtete nun schon seit beinahe zwei Jahren, wie sie sich gefährlich in die Nähe des Verderbens bewegte…
„Ghislaine, du solltest dir diesen Mann aus dem Kopf schlagen. Gänzlich und für immer“, begann er entschieden, ihren leisen Protest, ihre Sorge habe damit nichts zu tun, überhörend. „Wenn die Verteidigung des Ordens Erfolg hat – und auf nichts anderes arbeiten ich und Jocelin und die anderen Prokuratoren hin – wird der Papst sie freisprechen und restituieren. Und selbst wenn nicht -
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