Du sollst meine Prinzessin sein
nächsten Stunde fand sie heraus, wie recht er hatte.
Lizzy hatte die Augen geschlossen. Es klang, als führten die vielen Menschen, die in ihr Schlafzimmer eingedrungen waren, einen heftigen Streit. Das war nicht der Fall, das wusste sie. Sie diskutierten nur auf typisch italienische Weise, mit lauten vehementen Ausrufen. Sie verstand auch, warum. Man hatte ihnen eine unmögliche Aufgabe gestellt: Stroh zu Gold zu spinnen.
Eine Seidenhandtasche aus einem Schweineohr zu machen.
Angst stieg in ihr auf. Sie hatte gewusst, dass dieser Moment kommen würde. Denn wie verzweifelt auch die Umstände ihrer Hochzeit gewesen sein mochten, sie konnten sich nicht für immer vor dem Rest der Welt in der Villa verstecken.
Die Aussicht erschreckte sie. Auch wenn sie die schönsten Designerkleider der Welt trug, darunter würde sie doch immer sie selbst bleiben.
Panisch verkrampfte sie die Hände in ihrem Schoß.
Sie musste das irgendwie durchstehen. Sie musste es ertragen. Es spielte keine Rolle, wie demütigend es sein mochte. Sie musste diese Leute tun lassen, wozu sie hier waren.
Doch nicht für sich fasste sie diesen Entschluss. Sie tat es für den Mann, der sie so selbstlos geheiratet hatte und dessen Belohnung die Ehe mit einer Frau war, auf die nur ein einziges Wort passte: grotesk.
Sie öffnete die Augen. Sofort verstummten die vielen Stimmen. Sie sah sich einem Meer von Gesichtern gegenüber, die sie alle erwartungsvoll ansahen.
„Bitte“, sagte sie. „Tun Sie Ihr Bestes.“
Dann schloss sie ihre Augen wieder – und hielt sie auch weiterhin geschlossen. „Wir brauchen noch einen Turm“, verkündete Ben.
Rico betrachtete ihr Bauwerk auf dem Tisch. Dann nickte er.
„Du hast recht“, stimmte er zu. „Ich setze noch einen zweiten in diese Ecke hier. Wie kommst du mit dem Anmalen voran?“
„Gut“, erwiderte Ben. Er war eifrig damit beschäftigt, die Wände des Kartons mit grauer Farbe anzumalen. Sie hatten den Karton zu einem Fort ausgebaut, in dem in Zukunft Bens neue Ritter wohnen sollten. Rico hatte das Spielzeug im Internet bestellt, und der Junge war so aufgeregt gewesen, dass er schließlich den Vorschlag für das Fort gemacht hatte. Außerdem half es, Ben von der Tatsache abzulenken, dass er Lizzy den ganzen Tag über noch nicht gesehen hatte.
Angst begann an Rico zu nagen.
Ging es ihr gut? Es war bereits später Nachmittag. Er wusste, dass Schönheitsbehandlungen ewig dauerten, und so überraschte ihn die Zeit nicht wirklich. Aber wie kam sie mit alldem zurecht?
Er griff nach der Schere und widmete sich der kniffligen Aufgabe, quadratische Ecken aus dem Karton zu schneiden. Auch er konnte Ablenkung gut gebrauchen.
„Probiert Mummy immer noch die neuen Kleider an?“, fragte Ben.
„Bei Frauen dauert das ziemlich lange. Außerdem kümmert man sich noch um ihre Haare.“
„Mummy braucht sonst nie so lang“, erwiderte der Junge. „Sie ist immer ganz schnell.“
„Jetzt ist sie eine Prinzessin, das ändert vieles.“
Doch Ben starrte längst an ihm vorbei, die Terrasse entlang zu ihrem gemeinsamen Schlafzimmer. Plötzlich veränderte sich sein Gesichtsausdruck.
„Mummy!“
Er ließ den Pinsel fallen und stieß den Stuhl zurück.
Rico sah auf.
Und erstarrte.
Ben rannte auf seine Mutter zu, die gerade vorsichtig aus der Verandatür trat.
„Mummy, Mummy, du warst so lange weg! Wir haben ein Fort gebaut, Tio Rico und ich. Für die Ritter. Die kommen morgen in einem Spezialauto, und sie sind ein Geschenk, weil ich mich so gut benommen habe. Und wir haben ein Fort für sie gemacht. Komm mit, Mummy, und schau es dir an.“
Er griff nach ihrer Hand und zerrte Lizzy hinter sich her. Für einen Moment schwankte sie, weil sie die Sandalen nicht gewohnt war. Zwar waren die Absätze recht flach, doch schienen sie ansonsten nur aus zwei schmalen Lederriemen zu bestehen.
„Komm schon“, drängte Ben sie ungeduldig.
Aber das Letzte auf der Welt, was sie wollte, war, dorthin zu gehen, wohin er sie zog.
Zu dem Tisch am anderen Ende der Terrasse, an dem ein Mann bewegungslos saß.
Sein Gesicht war vollkommen ausdruckslos.
Ihr Herz pochte wild in ihrer Brust. Plötzlich fühlte sie sich krank. Krank vor Entsetzen machten sich Zweifel in ihr breit: Oh Gott … all die Arbeit, all die Zeit … und herausgekommen ist ein Desaster. Ich kann es in seinen Augen lesen. Es ist schrecklich.
Die Prozedur hatte schier endlos gedauert – Stunde um Stunde, eine Behandlung war der nächsten gefolgt.
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