Elfenschwestern
zurück.
„Im Ernst. Er sitzt da, als warte er auf jemanden.“ Jolyon schaute sie von der Seite an. „Auf dich? Oder auf deine Schwester?“
Lily zog vor, das nicht zu beantworten, sondern fragte zurück: „Woher weißt du das?“
„Ich habe ihn durchs Fenster gesehen, als ich dich gesucht habe.“
„Du hast spioniert.“
„Jawohl.“
„Ist das so ein Chronisten-der-Rose-Ding?“, wollte Lily wissen. „Oder ein Jolyon-Ding?“
Jolyon legte den Kopf schief. „Kommen wir jetzt zum ungemütlichen Teil? Okay, lass uns drinnen streiten, da ist es zumindest wärmer.“
„Ich will nicht streiten“, stellte Lily klar, öffnete endlich die Tür und trat in die Küche. Sie drehte sich zu Jolyon um. Der schaute an ihr vorbei. Blickte ihr dann in die Augen, grinste, beugte sich vor und küsste sie wieder.
Lily fühlte, wie ihr Ärger dahinschmolz. Gefährliche Sache, dieses Küssen, dachte sie. Sie schlang die Arme um seinen Nacken und lehnte sich in den Kuss, doch Jolyon löste sich abrupt von ihr.
Verwirrt und ein bisschen verletzt blinzelte sie ihn an. Er wies mit einer Bewegung des Kinns hinter sie.
Lily fuhr herum.
Duncan stand da im Türrahmen und starrte mit offenem Mund auf die Szene, die sich ihm bot.
Jolyon zwinkerte Lily zu, bevor er Duncan eine Hand entgegenstreckte. „Hey, ich bin Jolyon.“
Langsam, fast wie in Zeitlupe, ergriff Duncan die dargebotene Hand. „Duncan McEllis“, sagte er automatisch. Dann ließ er Jolyons Finger einfach fallen und wandte sich an Lily. „Ich hab schon gedacht, ich muss die Feuerwehr rufen und dich aus dem Fluss fischen lassen, Lil. Du warst ganz schön lange weg. Ich habe für dich ausgepackt. Und die Heizung angestellt. Und die Post reingeholt, da hatte sich ordentlich was angehäuft.“ Er deutete auf den Küchentisch.
„Oh, Duncan.“ Lily wusste nicht, was sie sagen sollte. „Danke.“
Er zuckte die Achseln. „Kein Ding. Ich habe doch gesagt, ich habe heute sonst nichts zu tun als …“
Er sprach nicht weiter, aber Lily erriet, was er hatte sagen wollen. Er hatte heute die Schule geschwänzt, um Lily Gesellschaft zu leisten. Um ihr zur Seite zu stehen bei dem, was sie umtrieb, was auch immer es war, das den beiden Schwestern Fairchild so zu schaffen machte. Und sie hatten es ihm nicht einmal erklärt.
Lily hatte ein schlechtes Gewissen. Weil sie keine Ahnung hatte, wie sie reagieren sollte, griff sie nach dem Stapel Prospekte und Rechnungen, der auf dem Tisch lag, und blätterte ihn halbherzig durch. Sie wollte ihn schon wieder zur Seite legen, als ihr ein betörend süßer Duft in die Nase stieg. Lavendel und Jasmin. Noch einmal ging sie die Briefe durch, dieses Mal sorgfältig, Stück für Stück. Da war er. Ein cremefarbener schmaler Umschlag aus Büttenpapier. Als sie ihn in der Hand hielt, verstärkte sich der Geruch so sehr, dass Lily die Nase rümpfte. Eine unheilvolle Vorahnung ergriff sie.
Jolyon trat neben sie. „Alles klar? Du siehst aus, als hättest du ein Gespenst gesehen. Oder eher eine Horde Pixies. Von wem ist der Brief?“
„Ich weiß nicht“, murmelte Lily. Und ich habe Angst nachzusehen, fügte sie im Stillen hinzu. Ganz langsam drehte sie den Umschlag um. Dort, wo der Absender hätte stehen sollen, war eine Blüte aufgedruckt. Eine Rose, rot wie Blut.
14
There sleeps Titania. ~ Dort ruht Titania.
Duncan fuhr, so schnell es auf den geräumten Straßen ging.
„Aber warum ihr in Panik seid, wollt ihr mir nicht sagen?“, erkundigte er sich, warf Lily, die neben ihm saß, einen fragenden Blick zu und schaute dann über die Schulter zu Jolyon im Fond.
Doch beide starrten nur angespannt geradeaus.
„Na herrlich“, murmelte Duncan. Und trat das Gaspedal noch weiter durch.
Die Straßen in Pipers Corner waren voller Feierabendverkehr. Duncan war gezwungen, vor der Copperfield School in zweiter Reihe zu parken. Er hatte noch nicht den Motor abgestellt, da sprang Jolyon schon aus dem Wagen und hechtete los. Lily war ihm dicht auf den Fersen, Duncan folgte fluchend.
Nur ein Flügel des schmiedeeisernen Tores stand offen, nur die Lampen daneben brannten gelb. Auf der anderen Seite des Hofes lag das dunkle Schulhaus. Der von vielen Schülerfüßen zertrampelte Schnee sah wüst aus. Lily schauderte, als sie ihn überquerte, und beschleunigte. Sie warf sich gegen die Eingangstür und atmete erleichtert auf, als diese aufschwang. Zu dritt hasteten sie durch das gespenstisch leere Gebäude, Lily schnell und
Weitere Kostenlose Bücher