Hilfe, ich habe Urlaub
irgendeinen überflüssigen Vortrag an und lassen sich hinterher noch die neuesten Modelle für OP-Bekleidung vorführen. Dann wird bis zwei Uhr morgens getanzt und alles hinterher von der Steuer abgesetzt.
Es hat ein paar Gelegenheiten gegeben, bei denen ich mit dem Versprechen auf eine Lesereise gelockt wurde, ich hätte vor Ort auch freie Zeit zu meiner eigenen Verfügung. Von wegen.
Versuchen Sie mal, drei Millionen Schafen in Neuseeland Bücher zu verkaufen, und dann sagen Sie mir, wieviel Zeit Sie noch haben.
Vor ein paar Jahren war ich einen Monat auf Lesetournee durch Australien. Ich fing in Perth an und arbeitete mich dann durch Australiens sieben Millionen
sechshundertsechsundachtzigtausendvierhundertzwanzig Quadratkilometer.
Meinen Sie, ich hätte Mel Gibson getroffen? Colleen McCullough? Oder Crocodile Dundee, wie er ein paar Scampis auf den Grill legt? Meine Güte, ich hätte Sie für realistischer gehalten.
Naja, immerhin habe ich einen Koalabären zu sehen bekommen, einige warme Quellen, einen gestellten Maoritanz im Hotel und vom Auto aus zwei Känguruhs. Ach ja, und bei einer Fernsehdiskussion traf ich zufällig Jackie Collins.
Auch in London ist es mir nicht besser ergangen. Ich habe Leute von einem Turm erzählen hören, wo man sich die britischen Kronjuwelen ansehen könne. Man erzählte mir, es gäbe einen wunderschönen Fluß namens Themse, der mitten durch die Stadt fließt, und die Königin wohne in einem Palast mit Wachen davor.
Ich habe es nicht mal bis zu der Fabrik geschafft, wo diese Hüte hergestellt werden, die Prinzessin Di und Fergie aufsetzen, wenn sie wieder mal ein Baby kriegen. Und wo war ich die ganze Zeit? Ich steckte in einem Gebäude namens BBC. Jeden Morgen saß ich
mutterseelenallein mit Kopfhörern in einem schalldichten Studio. Sobald ein rotes Licht anging, sagte ich: »Guten Morgen, Irland« oder »Guten Morgen, Wales« und erzählte von meinem Buch.
Dafür war ich also beim Friseur gewesen.
Es kommt selten vor, daß einen der Beruf an einen Ort führt, wo man wirklich hin will. Und es geschieht doppelt so selten, daß die Arbeit einem Türen öffnet, die einem als Urlauber verschlossen blieben.
So war das in Rußland.
Rußland
Als mein Mann und ich 1977 unsere erste Reise nach Rußland machten, hatten wir das Gefühl, wir wären Strafgefangene, die nach Sibirien transportiert wurden. Wir wurden ständig bewacht, jedesmal nachgezählt, wenn wir auf die Toilette gingen, und von Intourist-Hostessen
abgesondert. Unmöglich, daß wir uns mit einem sowjetischen Bürger normal hätten unterhalten können.
Sobald unsere Reisegruppe das Schiff in Leningrad verließ und wir den Zug »Roter Pfeil«
nach Moskau nahmen, fühlten wir uns stets unter Kontrolle. Falls die normalen Russen sich für uns interessierten, zeigten sie das nicht.
Ihre Blicke richteten sich auf den Boden vor ihnen. Wir wurden über den Roten Platz, durch Folklorevorstellungen und staatliche Läden gelotst. Wir wurden in abgetrennten Speisesälen bewirtet. Das Ganze erinnerte mich an meine Kindergartenzeit, als wir uns bei der Besichtigung des Flughafens alle an die Hand faßten und im Gänsemarsch losmarschierten.
Da unser Aufenthalt in Moskau kurz war, wurde drei Ehepaaren zusammen ein Tageszimmer in einem Intourist-Hotel zugeteilt, wo wir uns »frisch machen« durften.
Mein Mann und ich saßen auf einem Bett mit vier fremden Menschen zusammen, als eine
junge Kanadierin das peinliche Schweigen brach mit dem Satz »Anyone for a nooner?« Wir mußten plötzlich alle kichern. »Anyone for a nooner« bedeutet soviel wie »Hat jemand Lust auf
’ne schnelle Nummer« - und das während der Mittagszeit.
Ich konnte mir den armseligen KGB-Agenten, der uns abhörte, irgendwo im Keller vorstellen, wie er Lexika wälzte, ohne das Wort »nooner« zu finden.
Der Besuch in diesem grauen, ausdruckslosen, irgendwie ungesäuerten Landstrich Europas war so, wie auf Stangensellerie herumzukauen … Freudlos, aber zumindest konnte man sagen, daß man gegessen hatte. Bei meiner Abreise bewegte mich die brennende Frage, was für Menschen das sein mochten, die in diesen abweisenden, farblosen Hochhäusern lebten. Was verbarg sich hinter diesen stoischen Gesichtern, die wir vom Fenster unseres Busses sahen, der nie mal langsamer fuhr. Hätte ich einem von ihnen nur einmal in die Augen schauen können, hätte ich bestimmt einen anderen Zugang bekommen.
Es sollte zehn Jahre dauern, bevor wir nach Rußland
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