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Nickel: Roman (German Edition)

Nickel: Roman (German Edition)

Titel: Nickel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aric Davis
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soweit ich weiß, hat niemand meinem Dad gedankt. Soweit ich weiß, war es ihm auch nicht wichtig.
    Ich lernte ein bisschen über das Familienunternehmen von ihm, aber hauptsächlich wandte ich, als ich älter wurde, die Regeln an, die er für sich selbst aufgestellt hatte. Er erklärte siemir nie, hielt mir nie irgendwelche altklugen Vorträge, wie ein Mann zu handeln hätte. Ich lernte auf die gute Art. Ich beobachtete ihn, hörte zu, wie er die Menschen behandelte, wie er sich von Menschen behandeln ließ. »Halte einer Dame immer die Tür auf, und einem Kerl auch, wenn er nahe an der Tür ist.« Das hat er nie gesagt – ich habe es nur beobachtet. Man konnte eine Menge lernen von einem Mann, der wusste, wie man Bitte und Danke sagte – und Ja, Sir oder Ja, Ma’am. Die Leute machen sich Sorgen um aussterbende Leoparden, Elefanten und Tiger, aber wir alle sehen tatenlos zu, wie sich in ganz normalen Unterhaltungen Grobheit breitmacht. Wir sollten uns um die Tiere sorgen, versteht mich nicht falsch. Wir sollten uns bloß auch um uns selbst sorgen.
    Dad hat oft umsonst gearbeitet, jedenfalls soweit ich das beurteilen konnte, aber wir bekamen immer irgendwelche Kleinigkeiten. Nicht Kisten mit Äpfeln oder gebratene Hähnchen oder so was wie in den alten Zeiten in seinem Beruf, aber manchmal war die Stromrechnung schon bezahlt oder wir hatten zwei Wochen lang Kabel. Kleinigkeiten, die Dad total egal waren, die ich aber genoss.
    Er trug eine 357er in der Jacke. Acht Schuss, Smith & Wesson, Full Size. Ich wünschte, ich hätte die. Die Cops haben sie mitgenommen. Wenn ihr gründlich in den Zeitungsarchiven von Detroit recherchiert, werdet ihr feststellen, dass das die Waffe war, mit der mein Dad sich umgebracht hat, gleich nachdem er sich selbst zwei blaue Augen verpasst, sich persönlich die Nase gebrochen und eigenhändig durchs Knie geschossen hatte. Eines Tages gehe ich da noch mal hin.
    Der Wind war kalt, und die Bäume waren wie Messer, diemir das Gesicht zerschnitten und mich mit Tau besprühten. Ich rannte. In der Ferne hörte ich Gebell, und durchs Unterholz schnitten wie Laser Lichtstrahlen, die so hell waren, dass sie einen Mann blenden und zum Aufgeben zwingen konnten. Ich bin kein Mann, aber ich arbeite daran.

Kapitel 27
    Irgendein Urinstinkt in mir schrie, ich solle mich verstecken, während ein ebenso machtvoller Trieb mich drängte, das nicht zu tun, sondern weiterzulaufen, immer weiter, die Krämpfe zu ignorieren, selbst wenn ich mich schließlich in irgendeiner öden Wüste am Ende der Welt durchbeißen müsste. Ich wusste nicht genau, ob es sicherer war, die Nachtsichtbrille aufzubehalten oder sie abzunehmen. Bisher war sie das Einzige, was mir einen Vorsprung verschaffte, aber falls einer dieser Millionen-Kerzenstärke-Lichtstrahlen mich direkt ins Auge traf, würde ich genauso zu Boden gehen, als hätten sie auf mich geschossen.
    Ich blieb in Bewegung, rannte tiefer in den Wald hinein, hielt mich aber so nahe am Rand, dass ich durchs Laub die Häuser sehen konnte. Meine Füße landeten irgendwo im Wasser; ich machte mir Sorgen wegen der Geräusche, aber dann durchquerte ich das kleine Nebenflüsschen zweimal hin und wieder zurück. Ich lief näher an die Häuser, an die Gärten heran, blieb aber noch im Wald. Die Hunde und die Lichter waren nicht näher gekommen, hatten sich aber auch nicht entfernt; sie waren hinter mir her, und das war alles, was zählte. Als ich ein Haussah, das ich für Arrows hielt, rannte ich Richtung Waldrand. Den Garten zu durchqueren würde am schwierigsten sein, und ich rannte tief gebückt, aber so schnell ich konnte.
    Ich kam zwei Häuser von Arrows Haus entfernt aus dem Wald; Schuhkartons und Fertigbauzeugs und all das – die blöden Dinger sahen wirklich alle gleich aus. Ich blieb dicht an den Bäumen, lief immer noch tief gebückt, hatte immer noch schreckliche Angst. Es war idiotisch gewesen, in der Nähe zu bleiben. Vorhin war mir das sinnvoll vorgekommen, aber jetzt wirkte es nur noch wie die bescheuerte Idee eines kleinen Jungen. Ich schaffte es über das Niemandsland – den Rasen ihres Nachbarn – und sprintete in Arrows Garten. Es musste irgendeine innere Verbindung zwischen uns geben, denn sie wartete an der Hintertür auf mich. Sie hatte die Haare mit zwei Stiften hochgesteckt und trug ein weißes T-Shirt und blaue Shorts. Sie sah aus wie ein Engel und genau den brauchte ich jetzt. Sie legte einen Finger an die Lippen, das universelle Zeichen für:

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