Steels Duell: Historischer Roman (German Edition)
Mensch in Erinnerung bleiben oder als Ungeheuer? Als Philanthrop? Als Freund der Menschen? Nein, fühlt Euch nicht verpflichtet, zu antworten. Ich weiß, was Ihr denkt. Ich werde wohl eher als Ungeheuer in die Geschichte eingehen.«
Steel nagte am Winkel der Unterlippe. »Wirklich, Captain, mit so viel Geschmack, wie Ihr zweifellos besitzt?«
Trouin lachte wieder. »Ihr hättet einen trefflichen Höfling abgegeben, Captain. Irgendwie seid Ihr mir immer noch ein Rätsel. Ihr habt gute Manieren, und doch kämpft Ihr so unerbittlich wie jemand, der in der Gosse aufgewachsen ist. Ich gebe zu, ich bin verblüfft. In den kommenden Tagen werde ich gewiss noch mehr über Euch lernen. Eine Menge mehr.«
Steel nahm ein wertvolles Stück Porzellan in die Hand, das auf einer goldverzierten Vitrine stand, knapp unterhalb eines geschwungenen Spiegels. Aber mit den Gedanken war er nicht bei dem Kunsthandwerk. Vielmehr machte er sich bewusst, dass er von nun an sehr umsichtig vorgehen musste. Trouin gehörte zu den Menschen, denen nichts entging, und wenn Steel auch nur einen Fehler machte, würde seine Deckung auffliegen. Denn inzwischen hatte der Pirat bereits erraten, dass Steel eine gewisse Zeit bei Hofe verkehrt hatte. Eine Bemerkung konnte er sich indes nicht verkneifen. »Ihr führt das Leben eines Königs, Captain Trouin.«
»Ich bin ein König, Mr. Thomson. Hier, in meiner Welt. Die Franzosen glauben, dass sie diese Stadt kontrollieren, mit ihrem fetten Gouverneur und diesem ungehobelten Major. Tatsache aber ist, dass dies meine Welt ist, Captain. Für den Augenblick jedenfalls.« Er unterbrach sich und dachte noch einmal über Steels Bemerkung nach. »Ihr wisst demnach, wie ein König lebt? Was wisst Ihr von Herrschaftshäusern?«
Steel schwieg und bereute seine Worte.
»Ich bin gespannt, welche Seiten ich noch an Euch entdecken werde, Captain Thomson«, sinnierte Trouin. »Aber kommt.«
Hinter dem Salon schloss sich ein vertäfelter Korridor an. Trouin bog erst rechts, dann links ab. Nach wenigen Schritten blieb er vor einer Tür stehen, die von zwei Männern bewacht wurde. Unauffällig registrierte Steel die Waffen: Entermesser und Pistolen in den Gürteln. Steel war gespannt, was ihn hinter dieser Tür erwarten mochte. Noch mehr Gemälde? Ein Hort aus goldenen Münzen? Das Lösegeld eines Königs? Trouin streckte die Hand nach dem Schlüssel aus, der im Schloss steckte.
»Da wären wir.«
Derweil betrachtete Steel ein kleines, in die Vertäfelung eingelassenes Gemälde über dem Türrahmen, auf dem Leda von Zeus in Gestalt eines Schwans verführt wurde. Trouin nickte den Wachposten zu, drehte den Messingknauf und öffnete die Tür.
Er trat ein und forderte Steel auf, ihm zu folgen. »So kommt doch herein, Captain. Kommt und schaut Euch meinen wertvollsten Schatz an.«
Gefolgt von den beiden Wächtern, betraten sie ein Boudoir, in dem gefärbte Baumwolltücher an den Wänden hingen. In der Mitte stand ein großes Himmelbett mit Vorhängen mit Blumenmustern, und an dem eher schlichten Toilettentischchen vor dem Fenster saß eine junge Frau. Sie saß mit dem Rücken zur Tür, aber selbst aus diesem Blickwinkel erkannte Steel sie. Er zuckte zusammen, als Trouin ihn an der Schulter berührte.
»Nun, wie gefällt sie Euch?«, flüsterte Trouin. Steel war angewidert von der unverhohlenen Lust im Tonfall des Piraten. »Eine seltene Schönheit, wie?«
Steel musste ihm zustimmen. Henrietta Vaughan war wahrlich keine gewöhnliche Frau. In London war er ihr bei verschiedenen Anlässen begegnet, in Begleitung ihrer Cousine, Arabella Moore – seiner damaligen Geliebten. Zumeist hatte er die Dame auf Empfängen oder Soireen gesehen, doch einmal war Lady Henrietta in das Schlafgemach ihrer Cousine geplatzt, als Steel und Arabella sich gerade der Liebeslust hingaben. Diesen Anblick hatte die Dame nicht so schnell vergessen, und als sie sich jetzt zur Tür umdrehte, sah Steel in ihren Augen, dass sie ihn sofort wiedererkannte. Sie war noch schöner, als er sie in Erinnerung behalten hatte. Doch selbst in diesem einen Blick entdeckte er den Anflug von Hochnäsigkeit, der ihm bereits bei der ersten Begegnung aufgefallen war.
Trouin waren die Blicke nicht entgangen, die Steel und die Dame tauschten. »Aha«, meinte er, »hatte ich also recht. Sie ist ganz nach Eurem Geschmack.«
Steel lächelte. »Gewiss, Captain. Welcher Mann wäre nicht hingerissen von so viel Schönheit? Sie übertrifft meine Erwartungen.«
Da die
Weitere Kostenlose Bücher